Barbara Graf

www.barbara-graf.at

Konturen – Installation, 2005/20013

Geformt, gelegt, geschichtet, geglättet, gefaltet, verschnürt, entfaltet, zerlegt, geteilt, gestreckt, gezogen, gespannt, gehöht – so zeigen sich Barbara Grafs Kunst-Körper. Erstaunliche Auflösungen und ebenso erstaunliche Manifestationen phantasierter Körperlichkeit finden sich in der Geschichte der so genannten anatomischen Gewänder.
Cathrin Pichler1

Linien werden gezogen. Körperteile sind nach und nach erkennbar. Ein abgewinkeltes Bein oder eine Hand zeichnen sich ab. Im Rahmen des Projektes CORPOrealities (2004-2009) entwickelte Barbara Graf erstmals KONTUREN, eine Serie von Zeichnungen, in der sie sich mit der Wandelbarkeit von körperlichen Strukturen beschäftigte. Die künstlerisch erfundenen Konturierungen erzeugen in den Augen der BetrachterInnen sich auflösende Labyrinthe, verwobene Fäden, Fältelungen und Verknotungen, Leerstellen im Inneren und äußere Schichtungen. Die KONTUREN – INSTALLATION (2005), eine textile Arbeit, wurde für den Kunstkasten in Winterthur hergestellt. In Einzelteile zerlegt, reiste sie zurück nach Wien. Von dort ging es in der Form einer Rauminstallation nach Kairo in eine Ausstellung der Galerie Mashrabia (2006). Eine Tasche zur Aufbewahrung der Einzelteile und die ausführliche Bedienungsanleitung – diese unterstützt die Handhabung und erklärt zudem die unterschiedlichen Formationsmöglichkeiten – fehlten bis vor kurzem. Im Künstlerhaus Wien werden die KONTUREN (2013) als nomadische Skulptur erstmals in einer Anordnung von Einzelteilen gezeigt.

Es mag sein, dass der Körper, der Teil unseres Selbst, der sich zur Welt öffnet, auch der Drehpunkt aller Vorstellung und Imagination ist. In dem Text Der utopische Körper reflektiert Michel Foucault das Erleben des Körpers und die Unabdinglichkeit seiner Präsenz auch in aller erdenkbaren geistigen Welt. ‚Nein, ich brauche wahrhaftig weder Magie noch Zauber, weder Seele noch Tod, um zugleich undurchsichtig und transparent, sichtbar und unsichtbar, Leben und Ding zu sein. Um Utopie zu sein, brauche ich nur Körper zu sein. All die Utopien, mit denen ich meinen Körper zu verlassen suchte, haben ihr Vorbild, ihren Ursprung und ihren allerersten Anwendungsbereich in nichts anderem als meinem Körper’.“2

Die Sammlungen der Medizinischen Universität Wien (MUW) im Josephinum beherbergen anatomische Wachsmodelle aus dem 18. Jahrhundert. Joseph II. gab diese in Florenz für die medizinisch-chirurgische Akademie in Auftrag. Die Anatomie des menschlichen Körpers wird anhand der ungewöhnlichen Präparate aus Wachs für Studienzwecke verdeutlicht. Einige der Modelle sind zerlegbar – ein Herz oder etwa die bekannte Mediceische Venus. Das medizinhistorische Museum in Wien und dort besonders die zerlegten Körper aus Wachs sind eine wesentliche Inspirationsquelle von Barbara Graf. Die Künstlerin bezieht sich auf die sichtbar gemachte Anatomie. Sie zerteilt Schichten des Körpers und fügt sie zu ungeahnten Formationen zusammen, um die lebendigen menschlichen Ausdrucksweisen spürbar zu machen.

„Ding und Leben zu verbinden und für diese Verbindung Darstellungen zu finden, ist jenseits aktionistischer und performativer Ansätze eine selten erreichte ästhetische Form. Man kann sie durch Referenzen auf wissenschaftliche Darstellungen oder durch eine Art Mimesis realer Körperlichkeit in eine vorgestellte oder phantasierte Dinglichkeit erreichen. In den Arbeiten von Barbara Graf findet sich beides. Ihre Kunstkörper, vor allem die vielseitig ‚verwendbaren’ anatomischen Gewänder erinnern an die große Tradition der medizinischen Darstellungen, zuweilen augenfällig an die berühmten Anatomien von Jacques Fabien Gautier d’Agoty (1711 -1785). 3 […] Diesen ‚wissenschaftlichen’ Darstellungen kommt ebenso wie den berühmten Wachsanatomien ein künstlerischer Rang zu. Barbara Graf studiert den Körper, sie schließt damit an wissenschaftliche Strategien an.“4

Mit der Soziologin Christina Lammer, die seit 2000 Beobachtungsstudien im Allgemeinen Krankenhaus Wien (AKH) durchführt, verbindet die Künstlerin eine langjährige Zusammenarbeit. Die KONTUREN beschreibt Christina Lammer in einem Essay folgendermaßen: Barbara Graf erzeugt „ein emotionales Spannungsfeld zwischen Abstraktion und Erzählung. Sie interpretiert und erspürt die heterogenen Formen von Körperlichkeit und Leiblichkeit, die in der Klinik im Spiel sind und verleiht dem Nichtdarstellbaren poetischen Ausdruck. Die Künstlerin interpretiert den menschlichen Körper in seiner Ganzheit und im steten Wandel begriffen. Die Figuren, die sie in ihren Zeichnungen und später in einer textilen Installation erfindet und herstellt, ähneln jenen im Krankenhausbetrieb. Sie teilen Eigenschaften miteinander. Die nackte Verletzlichkeit, an die sie sich behutsam herantastet, betrifft alle an der Behandlung von Kranken Beteiligten.“5  

Mit der Verpackung wird Barbara Grafs KONTUREN – INSTALLATION im Künstlerhaus Wien in ein anderes Licht gerückt. Eine Topografie des lebendig Körperlichen wird in einer stofflich berührbaren Qualität präsentiert, die seltsame Dimensionen zum Vorschein bringt. „Ein kompliziertes System von Fäden und Haken, auf denen sich eine mechanisch imaginierte Leiblichkeit buchstäblich entblättert. Zug um Zug verändern sich die Figurationen der Organe im Verhältnis zu ihrer Hülle. In alle Himmelsrichtungen offen. Entgegen der Schwerkraft. Den Begriff Beziehung nimmt die Künstlerin in dieser Arbeit wortwörtlich. Die Organisation der einzelnen Körperteile zum gesamten Objekt stellt ein äußerst komplexes und empfindliches Beziehungsgeflecht dar.“6  Dessen nicht genug, konfrontiert uns die Künstlerin mit inneren Leerstellen, die wir ohne ihre Bedienungsanleitung schwerlich alleine zu füllen vermögen.
1 Pichler, Cathrin, Ding und Leben – zu den Kunstkörpern von Barbara Graf, in C. Lammer (Hg.), CORPOrealities, Wien: Löcker Verlag, 2010, S. 27.
2 Ebd., S. 29 und  Foucault, Michel: Die Heterotopien – Der utopische Körper, Zwei Radiovorträge (1966), Suhrkamp 2005, S. 30. Der Beginn des letzten Satzes heißt in der Originalübersetzung: All diese Utopien, durch die ich meinen Körper hinter mir ließ.
3 Ebd., S. 29  und Jacques  Fabien Gautier d’Agoty: Myologie complète en couleur et de grandeur naturelle, Muscle du dos Pl. 14, Paris 1746, Ecole nationale supérieure des Beaux-Arts, Paris.
4 Ebd., S. 29-30.
5 Lammer, Christina, Figurationen, in C. Lammer (Hg.), CORPOrealities, Wien: Löcker Verlag, 2010, S. 15.
6 Ebd., S. 23.

Barbara Graf: geboren 1963 in Winterthur-CH, lebt und arbeitet in Wien, Kairo und Winterthur. 1985-90 Studium an der Universität für angewandte Kunst Wien, Prof. Maria Lassnig.
Seit 1989 Arbeit an den Anatomischen Gewändern und Körperobjekten: Position zwischen Skulptur, Kleidung als zweite Haut, Reflexionen über medizinische Visualisierungen und soziokulturell definierte Körperbilder: Skulptur, Zeichnung, Photographie. Seit 2004 Lektorin für Textiles Gestalten an der Universität für angewandte Kunst Wien. Mitarbeit in den Forschungsprojekten: „CORPOrealities“ 2004-09 und „Surgical Wrappings“ 2009-2013, Projektleitung Christina Lammer (gefördert vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds WWTF). Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland.

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