Christoph Braendle
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Blumen und Celan
Zum ersten Mal sah ich S. vor der Wotrubakirche. Er trug einen schwarzen
Anzug, den man wallend nennen konnte, dazu schwarze Brillen und einen
schwarzen Hut, der schlappte. Und als Krawatte ein Unikat. Ich fragte, was
S. hier mache. „Isch bin ein leuschtender Stern, isch susche la merde.“ S. war
aus der französischen Schweiz und über Kunstakademien in Paris und Rom mit
den grössten Erwartungen nach Wien gekommen. Die Aktionisten hatten ein
vergreistes Beamtenvolk mit Kot und Blut verschreckt. Aber eigentlich war das
schon passé, künstlerisch korrekt war das streng Abstrakte. Was S. tat, dieser
Expressionismus, die breite Pinselführung, der dicke Farbauftrag, das war doch
keine Kunst?

Christoph Braendle: Geboren 1953 in der Schweiz. Lebt und arbeitet seit 1987
in Wien. Schreibt Romane, Theaterstücke, Reportagen und Essays. Gründer und
Leiter des Wiener Salon Theaters und des Wiener City Literaturwettbewerbs. Letzte
Buchveröffentlichungen: „Das Wiener Dekameron“ (Metroverlag, Wien 2008),
„Onans Kirchen“ (Czernin-Verlag, Wien 2012).